Auch das Verhalten der Bezugspersonen kann weitere Hinweise geben. Außerdem sind die Belastungsfaktoren im sozialen Umfeld des Kindes besonders aussagekräftig.
Beobachtungen bei Eltern und Begleitpersonen
Unkooperatives Verhalten der Eltern
Eltern, die ihr Kind misshandelt haben, verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders als Eltern, deren Kinder durch einen Unfall verletzt wurden. So lehnen manche Eltern eine adäquate Behandlung oder weitergehende Untersuchungen ab, obwohl dieses dringend angezeigt ist. Viele Eltern berichten widersprüchlich von dem "Unfall", der sich zugetragen haben soll. Der Befund passt nicht zur Schilderung des Unfallhergangs.
Unangemessene Reaktionen der Eltern
Die Reaktion der Eltern kann der Verletzung nicht angemessen sein. Sie ist entweder übertrieben oder untertrieben. Manchmal klagen Eltern im Detail über Belanglosigkeiten, die in keinem Zusammenhang zur Verletzung stehen.
Umgang der Eltern mit dem Kind
Ein Kind kann deutliche Anzeichen von Pflegemangel und Unterernährung aufweisen, während die Eltern sich jedoch als perfekte Eltern darstellen. Der Entwicklungsstand des Kindes kann nicht altersgerecht sein, die Eltern berücksichtigen dies aber nicht. Der Umgang mancher Eltern mit dem Kind ist ständig lieblos oder überfordernd; die Erwartungen an das Kind sind völlig unrealistisch. Gegebenenfalls beobachten Sie Erregungszustände oder Kontrollverlust bei den Eltern.
Bei der Früherkennungsuntersuchung im Säuglingsalter können u. a. die folgenden Beobachtungen auf Ablehnung und Vernachlässigung durch die Mutter hinweisen:
- Liebloser Umgang mit dem Kind, z. B. kein Eltern-Kind Kontakt
- Geringe Zärtlichkeit, z. B. kaum Berührungen, Mutter vermeidet Körperkontakt mit dem Kind
- Häufig verbale Restriktionen, z. B. sehr negative Feststellung über das Kind, Vorwürfe in sehr ärgerlichem Ton
- Mutter übergeht deutlich die Signale des Kindes (lächeln, quengeln, schreien)
- Reaktives (soziales) Lächeln des Kindes fehlt (mangelnder Blickkontakt)
- Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist von Unsicherheit, geringer Vorhersagbarkeit und mangelnder Verlässlichkeit gekennzeichnet
- Die Mutter wirkt überfordert und nimmt das Kind nicht in seinen kindlichen Bedürfnissen war
Anamneseerhebung im sozialen Nahbereich
Leitfragen zur Familiensituation
Im Rahmen der Anamneseerhebung sind die Belastungsfaktoren im sozialen Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen besonders aussagekräftig. Hierbei können Fragen zur Familiensituation helfen:
- Wer gehört zur Familie?
- Ist jemand weggegangen (Todesfall, Partnerverlust, Trennung) oder dazugekommen (Geschwisterkind, neuer Partner)?
- Wen gibt es sonst noch an Angehörigen?
- Wie geht es den Eltern, der Mutter?
- Wie kommt die Mutter mit dem Kind (den Kindern) zurecht?
- Gibt es Konfliktstoffe (mit dem Kind, Alkohol, Schulden)?
- Hat das Kind schulische Probleme?
- Wie ist die Wohnsituation?
- Gibt es Spielsachen für das Kind, hat es ein eigenes Bett?
- Wie ist der Kontakt zu Angehörigen?
- Gibt es Nachbarn, Freunde, Bekannte, an die man sich auch im Notfall wenden kann?
- Wer hat die bisherigen Vorsorgeuntersuchungen gemacht?
- Haben die Eltern oder das Kind Kontakt zum Jugendamt oder zu Beratungsstellen?
Auch ein Hausbesuch kann eine gute Möglichkeit sein, die eigenen Wahrnehmungen zu überprüfen und den Lebensraum des Kindes zu beurteilen. Niedergelassene Ärzte und Ärztinnen haben gegenüber den Klinikärzten den Vorteil, die soziale Situation und die Lebenssituation des Kindes zu sehen und in differentialdiagnostische Überlegungen mit einfließen zu lassen.
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