"Seit den erschütternden Fällen sexualisierter Gewalt von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster hat die Politik in NRW und Niedersachsen erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Kinderschutz zu verbessern", bilanzierte Prof. Dr. Gaby Flösser, Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Nordrhein-Westfalen am Ende einer großen digitalen Fachtagung. "Dennoch muss noch viel geschehen, um Kinder und Jugendliche zukünftig besser zu schützen", so Flösser weiter.
Insgesamt über 310 Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Praxis kamen am 11. und 12. März virtuell zusammen, um sich zu informieren, zu diskutieren und Forderungen an die Politik zu richten. Organisiert wurde die Konferenz von den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen des Kinderschutzbundes (DKSB) in Kooperation mit dem Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit der Technischen Universität Dortmund. "Kinderschutz seit Lügde - Erkenntnisse und Aufträge für Fachwelt, Politik und Gesellschaft" - so lautete der Titel der Tagung. Zentrale Themen waren:
- Wie kann Kinderschutz künftig als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verankert werden?
- Wer übernimmt verbindlich Verantwortung für das Wohl von Kindern und Jugendlichen, die Gewalt erleben – gesellschaftlich, aber auch in jedem Einzelfall?
- Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich durch sexualisierte Gewalt für alle, die mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien arbeiten?
- Haben wir diesbezüglich eine gute Infrastruktur, fachliche Konzepte und Verfahrensweisen?
- Wer kontrolliert das Hilfesystem, deckt Fehler und Fehlverhalten auf, entwickelt Einrichtungen und Angebote weiter?
Kinderschutz als Querschnittsaufgabe etablieren
Große Einigkeit herrschte, dass hier nicht nur die öffentlichen Träger, die Jugendämter, gefordert sind, sondern alle Einrichtungen und Angebote, die sich um das Wohl von Kindern und Jugendlichen kümmern. Aufgabe der Politik sei es, so der Tenor auf der Konferenz, hinreichende Rahmenbedingungen und Ressourcen zur Verfügung stellen. "Größte Anstrengungen werden künftig darauf zu legen sein, eine ressortübergreifende Politik zu gestalten, die den Kinderschutz tatsächlich als Querschnittsaufgabe etabliert", betonte Renate Blum-Maurice, Mitglied des Landesvorstandes des DKSB in NRW. Aber auch Wissenschaft und Praxis müssten an ihren Haltungen zu gelebter Interdisziplinarität und multiperspektivischen Fallbearbeitungen noch arbeiten. Die Verantwortung für den Kinderschutz müsse auch in der Schule, im Gesundheitswesen und der Justiz viel stärker ins Bewusstsein der Fachkräfte rücken, was u. a. durch regelmäßige und interdisziplinäre Fortbildungen zu erreichen sei. Festhalten lässt sich nach der Fachtagung auch, dass ein lebendiger Kinderschutz seine Qualität regional und fachlich immer wieder auf den Prüfstand stellen müsse. So sei am ehesten garantiert, dass Standards und Verfahrensweisen etabliert und weiterentwickelt werden, die Kindern zu ihren Rechten verhelfen und die ihre Eltern unterstützen.
"Für uns ist es sehr wichtig, dass der Kinderschutz konsequent aus der Sicht und vom Wohl von Kindern aus gedacht und gemacht wird", so Johannes Schmidt, Landesvorsitzender des Kinderschutzbundes in Niedersachsen. Das bedeute, dass die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien noch viel stärker gehört werden müssen, an der Konzeptionsentwicklung beteiligt werden müssen und dass auch ihrer Sicht bei der Überprüfung und Bewertung des Kinderschutzes eine zentrale Bedeutung zukommt.
Die zweitägige Fachtagung soll der Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe sein. "Wir würden gerne zukünftig einmal im Jahr Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Praxis zusammenbringen, um relevante Themen des Kinderschutzes in den Blick zu nehmen", so Prof. Dr. Gaby Flösser, Vorsitzende des Kinderschutzbundes in NRW.