Das Bundeskabinett hat am 2. Dezember 2020 den Gesetzentwurf für ein neues Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) beschlossen. Damit wird das Achte Sozialgesetzbuch - das Kinder- und Jugendhilfegesetz - reformiert. Ziel des Gesetzes ist, Teilhabe und Chancengerechtigkeit von jungen Menschen zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben. Die Pläne müssen noch Bundestag und Bundesrat passieren.
Die fünf Regelungsbereiche des Gesetzes
1. Besserer Kinder-
und Jugendschutz
Das Gesetz verbessert den Schutz von Kindern und
Jugendlichen in Einrichtungen und Pflegefamilien. Hierzu werden insbesondere
die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden über Einrichtungen und die
Voraussetzungen für die Betriebserlaubnis erweitert. Die Entwicklung und Anwendung
von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen wird zur Pflicht. Die Anforderungen
und Kontrollen bei Auslandsmaßnahmen werden verschärft.
Das Gesetz verbessert auch die Zusammenarbeit zwischen
Jugendamt und weiteren wichtigen Akteurinnen und Akteuren im Kinderschutz, wie
Ärztinnen und Ärzten. Wenn sie dem Jugendamt einen Verdachtsfall melden,
erhalten sie künftig eine Rückmeldung, wie es mit dem Kind und der Familie
weitergeht. Außerdem werden sie verstärkt in die Einschätzung der
Gefährdungssituation einbezogen. Ärztinnen und Ärzte erhalten auch mehr
Klarheit, wann sie trotz Schweigepflicht einen Verdachtsfall melden dürfen -
nämlich dann, wenn sie es bei gewichtigen Anhaltspunkten einer
Kindeswohlgefährdung für erforderlich halten, dass das Jugendamt tätig wird.
2. Stärkung von
Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der
Erziehungshilfe aufwachsen
Junge Menschen, die in Einrichtungen der Erziehungshilfe
oder in Pflegefamilien aufwachsen, werden zu mehr Eigenverantwortung
motiviert und auf dem Weg in ein selbständiges Leben besser begleitet. Wenn sie
etwa einen Ferienjob oder ähnliches haben, müssen sie künftig einen deutlich
geringeren Teil ihres Einkommens als Kostenbeitrag an das Jugendamt abgeben:
Statt jetzt 75 Prozent nur noch maximal 25 Prozent ihres Einkommens.
Junge Volljährige beziehungsweise sogenannte
"Careleaver", das heißt junge Menschen, die nach dem 18. Geburtstag
eine Einrichtung oder eine Pflegefamilie verlassen, erhalten verbindlichere
Unterstützung. Sie können in ihre Einrichtung zurückkehren, sollte etwas im
Leben schiefgehen.
Für das Kind und seine Entwicklung ist das Erleben
emotionaler Sicherheit, fester Bindung und Zugehörigkeit von ganz
entscheidender Bedeutung. Das Gesetz sieht deshalb Regelungen zum besseren
Schutz der Bindungen von Pflegekindern vor. Es geht dabei um die Bindungen des
Pflegekindes zu seinen Eltern und Pflegeeltern; aber auch
Geschwisterbeziehungen müssen künftig stärker berücksichtigt werden. Leibliche
Eltern und Pflegeeltern werden gleichermaßen gestärkt, um sicherzustellen, dass
das Kind und seine Bedürfnisse immer und unter allen Umständen Vorrang haben.
Eltern erhalten einen Anspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung ihrer
Beziehung zum Kind. Pflegeeltern werden besser begleitet und auch ihre
Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern wird verbindlicher gefördert.
3. Hilfen aus einer
Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen
Das Gesetz stellt verbindliche Weichen für die
Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und Jugendliche mit und ohne
Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe. Für den Umsetzungsprozess ist ein
Zeitraum von sieben Jahren vorgesehen, der stufenweise geschieht:
Sofort mit Verkündung des Gesetzes soll es für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ihre Eltern leichter werden, ihre Rechte zu verwirklichen und die Leistungen zu bekommen, die ihnen zustehen. Dazu sollen sie umfassend über Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch anderer Systeme beraten werden. Kinder mit und ohne Behinderungen werden künftig grundsätzlich gemeinsam in Kindertageseinrichtungen betreut.
Ab 2024 werden Eltern zudem durch eine Verfahrenslotsin oder einen Verfahrenslotsen unterstützt. Das heißt, sie erhalten eine verlässliche Ansprechperson, die sie durch das gesamte Verfahren und im Kontakt mit Behörden begleitet.
2028 soll die Kinder- und Jugendhilfe dann für
alle Kinder und Jugendlichenauml;ndig werden
(sogenannte "Inklusive Lösung"), wenn dies zuvor (bis 2027) ein
Bundesgesetz im Einzelnen regelt.
4. Mehr Prävention
vor Ort
Eltern mit einer Sucht- oder einer psychischen Erkrankung
fällt es oft schwer, Hilfe für sich und ihre Kinder zu holen. Andere Eltern
haben Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung. Das führt dazu, dass viele
gute Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gerade bei diesen Familien nicht oder
nicht rechtzeitig ankommen. Das Gesetz sieht deshalb vor, dass Eltern in einer
kurzfristigen Notsituation Hilfe im Alltag erhalten können - zum Beispiel, wenn
sie so krank sind, dass sie ihr Kind nicht versorgen und betreuen können:
Unterstützung erhalten sie bei einer Erziehungsberatungsstelle - ohne Antrag
beim Jugendamt. Von dort wird den Familien eine Fachkraft oder eine
ehrenamtliche Patin beziehungsweise ein ehrenamtlicher Pate zur Seite gestellt.
Diese Person kann das Kind beispielsweise zur Schule bringen, Essen zubereiten
und bei den Hausaufgaben betreuen.
5. Mehr Beteiligung
von jungen Menschen, Eltern und Familien
Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist, Kinder und Jugendliche,
aber auch ihre Eltern und Familien durch mehr Beteiligung an den sie
betreffenden Entscheidungen und Prozessen zu stärken. Hierzu werden unabhängige
Ombudsstellen verbindlich gesetzlich verankert. Kinder und Jugendliche erhalten
einen uneingeschränkten Beratungsanspruch - auch ohne ihre Eltern. Organisierte
Formen der Selbstvertretung werden gestärkt. Für Kinder und Jugendliche in
Einrichtungen und Pflegekinder muss es bei Beschwerden verbindlich eine externe
Ansprechperson geben.
Hintergrund
Im Dialogprozess "Mitreden-Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe" haben sich Bund, Länder und Kommunen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhilfe und der Gesundheitshilfe im letzten Jahr darüber ausgetauscht, in welchen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe Handlungsbedarf besteht und wie Verbesserungen erreicht werden können. Rund 5.500 Expertinnen und Experten haben sich in die Diskussion eingebracht. Und rund 4.000 Fachkräfte und Betroffene - junge Menschen, Eltern und Pflegeeltern - wurden an wissenschaftlichen Begleitstudien beteiligt. Auf Grundlage der Erkenntnisse des Dialogprozesses wurde der jetzt vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf entwickelt.
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