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Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG)

Am 7. Mai 2021 hat der Bundesrat der vom Bundestag verabschiedeten Reform der Kinder- und Jugendhilfe zugestimmt. Ziel des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) ist, Teilhabe und Chancengerechtigkeit von jungen Menschen zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben.

Das Gesetz ist im Wesentlichen am 10. Juni 2021 in Kraft getreten.

Länderkosten kompensieren
In einer begleitenden Entschließung weist der Bundesrat darauf hin, dass das Gesetz mit erheblichen Kostenfolgen für die Länder verbunden sind, die diese nicht tragen können.

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, dauerhaft einen vollständigen Kostenausgleich für Länder und Kommunen zu schaffen - beispielsweise durch Änderung des Finanzausgleichsgesetzes.

Die Entschließung wurde der Bundesregierung zugeleitet. Diese entscheidet, wann sie sich mit der Forderung befasst.

1. Besserer Kinder- und Jugendschutz
Das Gesetz verbessert den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und Pflegefamilien. Hierzu werden insbesondere die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden über Einrichtungen und die Voraussetzungen für die Betriebserlaubnis erweitert. Die Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen wird zur Pflicht. Die Anforderungen und Kontrollen bei Auslandsmaßnahmen werden verschärft.

Das Gesetz verbessert auch die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und weiteren wichtigen Akteurinnen und Akteuren im Kinderschutz, wie Ärztinnen und Ärzten. Wenn sie dem Jugendamt einen Verdachtsfall melden, erhalten sie künftig eine Rückmeldung, wie es mit dem Kind und der Familie weitergeht. Außerdem werden sie verstärkt in die Einschätzung der Gefährdungssituation einbezogen. Ärztinnen und Ärzte erhalten auch mehr Klarheit, wann sie trotz Schweigepflicht einen Verdachtsfall melden dürfen - nämlich dann, wenn sie es bei gewichtigen Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung für erforderlich halten, dass das Jugendamt tätig wird.

2. Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Erziehungshilfe aufwachsen
Junge Menschen, die in Einrichtungen der Erziehungshilfe oder in Pflegefamilien aufwachsen, werden zu mehr Eigenverantwortung motiviert und auf dem Weg in ein selbständiges Leben besser begleitet. Wenn sie etwa einen Ferienjob oder ähnliches haben, müssen sie künftig einen deutlich geringeren Teil ihres Einkommens als Kostenbeitrag an das Jugendamt abgeben: Statt jetzt 75 Prozent nur noch maximal 25 Prozent ihres Einkommens. Anmerkung der Red.: Dieser Punkt wurde zum 1. Januar 2023 durch das Gesetz zur Abschaffung der Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe geändert.

Junge Volljährige beziehungsweise sogenannte "Careleaver", das heißt junge Menschen, die nach dem 18. Geburtstag eine Einrichtung oder eine Pflegefamilie verlassen, erhalten verbindlichere Unterstützung. Sie können in ihre Einrichtung zurückkehren, sollte etwas im Leben schiefgehen.

Für das Kind und seine Entwicklung ist das Erleben emotionaler Sicherheit, fester Bindung und Zugehörigkeit von ganz entscheidender Bedeutung. Das Gesetz sieht deshalb Regelungen zum besseren Schutz der Bindungen von Pflegekindern vor. Es geht dabei um die Bindungen des Pflegekindes zu seinen Eltern und Pflegeeltern; aber auch Geschwisterbeziehungen müssen künftig stärker berücksichtigt werden. Leibliche Eltern und Pflegeeltern werden gleichermaßen gestärkt, um sicherzustellen, dass das Kind und seine Bedürfnisse immer und unter allen Umständen Vorrang haben. Eltern erhalten einen Anspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung ihrer Beziehung zum Kind. Pflegeeltern werden besser begleitet und auch ihre Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern wird verbindlicher gefördert.

3. Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen
Das Gesetz stellt verbindliche Weichen für die Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe. Für den Umsetzungsprozess ist ein Zeitraum von sieben Jahren vorgesehen, der stufenweise geschieht:

Sofort mit Verkündung des Gesetzes soll es für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ihre Eltern leichter werden, ihre Rechte zu verwirklichen und die Leistungen zu bekommen, die ihnen zustehen. Dazu sollen sie umfassend über Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch anderer Systeme beraten werden. Kinder mit und ohne Behinderungen werden künftig grundsätzlich gemeinsam in Kindertageseinrichtungen betreut.

Ab 2024 werden Eltern zudem durch eine Verfahrenslotsin oder einen Verfahrenslotsen unterstützt. Das heißt, sie erhalten eine verlässliche Ansprechperson, die sie durch das gesamte Verfahren und im Kontakt mit Behörden begleitet.

2028 soll die Kinder- und Jugendhilfe dann für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zuständig werden (sogenannte "Inklusive Lösung"), wenn dies zuvor (bis 2027) ein Bundesgesetz im Einzelnen regelt.

4. Mehr Prävention vor Ort
Eltern mit einer Sucht- oder einer psychischen Erkrankung fällt es oft schwer, Hilfe für sich und ihre Kinder zu holen. Andere Eltern haben Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung. Das führt dazu, dass viele gute Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gerade bei diesen Familien nicht oder nicht rechtzeitig ankommen. Das Gesetz sieht deshalb vor, dass Eltern in einer kurzfristigen Notsituation Hilfe im Alltag erhalten können - zum Beispiel, wenn sie so krank sind, dass sie ihr Kind nicht versorgen und betreuen können: Unterstützung erhalten sie bei einer Erziehungsberatungsstelle - ohne Antrag beim Jugendamt. Von dort wird den Familien eine Fachkraft oder eine ehrenamtliche Patin beziehungsweise ein ehrenamtlicher Pate zur Seite gestellt. Diese Person kann das Kind beispielsweise zur Schule bringen, Essen zubereiten und bei den Hausaufgaben betreuen.

5. Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien
Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist, Kinder und Jugendliche, aber auch ihre Eltern und Familien durch mehr Beteiligung an den sie betreffenden Entscheidungen und Prozessen zu stärken. Hierzu werden unabhängige Ombudsstellen verbindlich gesetzlich verankert. Kinder und Jugendliche erhalten einen uneingeschränkten Beratungsanspruch - auch ohne ihre Eltern. Organisierte Formen der Selbstvertretung werden gestärkt. Für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen und Pflegekinder muss es bei Beschwerden verbindlich eine externe Ansprechperson geben.


Im Dialogprozess "Mitreden-Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe" haben sich Bund, Länder und Kommunen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhilfe und der Gesundheitshilfe im letzten Jahr darüber ausgetauscht, in welchen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe Handlungsbedarf besteht und wie Verbesserungen erreicht werden können. Rund 5.500 Expertinnen und Experten haben sich in die Diskussion eingebracht. Und rund 4.000 Fachkräfte und Betroffene - junge Menschen, Eltern und Pflegeeltern - wurden an wissenschaftlichen Begleitstudien beteiligt. Auf Grundlage der Erkenntnisse des Dialogprozesses wurde der jetzt vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf entwickelt.