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Kinderschutz in der Primarstufe: Wissen­schaft-meets-Praxis-Podcast für die Kinder­schutz-Lehre

Der Kinderschutz-Podcast der Universität Oldenburg vermittelt Basis­wissen, Mög­lich­keiten und Ent­wick­lungs­perspektiven des primar­päda­gogischen Kinder­schutzes. Seit Herbst 2023 vermittelt der Kinderschutz-Podcast des Arbeitsbereichs Pädagogik und Didaktik der Elementar- und Primar­bil­dung im Institut für Pädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Grund­lagen­wissen über Rolle und Haltung von schulischen Akteurinnen und Akteuren im Kinderschutz, Formen der Kindes­­wohl­­gefährdung und Perspektiven von Kindern. Die erste Staffel des Podcast wurde durch das Programm Innovation plus des Landes Niedersachsen gefördert.

Konzipiert und aufgezeichnet wurden die Podcast-Folgen von Prof. Dr. Anke Spies und Julia Eggert-Boraczynski, gemeinsam mit den Kinderschutz-Praktikerinnen Dipl. Psych. Mareike van't Zet und Dipl. Soz.Päd. Angela Könnecke vom Kinderschutz-Zentrum Oldenburg sowie Dipl. Soz.Päd./Soz.Arb. Heike Prüshoff. Im Plauderton sprechen die Expertinnen in den 14 Folgen der ersten Staffel auch über die schulische Vorbereitung auf Elterngespräche, die Komplexität von Einzelfällen und nötige Kooperationsstrukturen mit sozialpädagogischen Handlungsfeldern.

Wir haben Prof. Dr. Anke Spies und Mareike van't Zet dazu befragt:

Frau Spies, ein Podcast als Teil der Kinderschutz-Lehre, das ist etwas Neues – Was ist der Hintergrund?
Der Podcast ist Teil eines Lehrprogramms zur modernen Implementierung von Kinderschutz im Curriculum des Grundschul-Lehramt-Studiums innerhalb vorhandener Module. Dabei werden digitale und interaktive Lern­struk­turen kombiniert. Wir wissen, dass Kinder, die sexualisierter oder anderer Gewalt ausgesetzt sind, ein hohes Risiko für schulische Misserfolge tragen. Deshalb ist es wichtig, Kinderschutz als Qualitäts­merkmal in schuli­schen Strukturen zu etablieren. Und dafür sind Wissen, Kooperations­kompe­tenzen und vor allem sensibles päda­gogisches Handeln nötig – also wollen wir die künftigen Lehr­kräfte sensibilisieren und eine sichere Wissens­­basis zur Verfügung stellen. Nur so können Hilfeprozesse für betroffene Kinder aktiv, nachhaltig und kooperativ gestaltet werden, ohne dass die Akteur/innen in Überforderung geraten oder Bildungs­biografien von Kindern durch Fehl­ein­schätzungen und unsensible Hand­lungen gefährdet werden.

Die Vermittlung von Grundlagen­wissen zum Kinder­schutz im Kontext päda­gogi­schen Handelns ist an der Uni­versität Oldenburg seit 2019 im Master­studium für Lehramt an Grund­schulen einer der zentralen Inhalte eines Master­moduls. In den letzten fünf Jahren habe ich das u.a. auch aus Studien­qualitäts­mitteln über Lehr­aufträge an eine Kinderschutz-Praktikerin kontinuierlich aufgebaut. Während der Pandemie habe ich auch das Gesprächs­­format in der digitalen Vorlesung erprobt. Für beides konnte ich Heike Prüshoff als "insofern erfahrene Fachkraft" mit Super­visions­qualifikation gewinnen. Ergänzend dazu ist die Auseinander­setzung mit den Ausgangs­lagen des Kinder­schutzes an nieder­sächsischen Grund­schulen auch in die Lehre zur Vor­bereitung und Begleitung des Praxis­semesters hochschul­didaktisch angelegt.

Aber ich wollte die fachliche Expertise der hauptamtlichen Kinder­schutz­praxis auch dauerhaft und vor allem ressourcen­unabhängiger in die Lehre integrieren. Forschungs­befunde zeigen, dass nur wenig verlässliche Sach­kennt­nisse zum Kinder­schutz in den Schulen vorhanden sind. Also ist es dringend nötig, Studierenden als künftigen Lehr­kräften und Multiplikator­/innen die Notwendig­keit von Fach­beratung sichtbar zu machen und Eck­punkte schulischer Schutz­konzepte zu verdeut­lichen. Die Idee war, auf möglichst zugäng­liche aber praxis­relevante Art und Weise Basis­informationen zum Kinder­schutz aufzu­nehmen und diese Expertise durch das Gespräch von mehreren Fach­kräften lebendig werden zu lassen. Also habe ich vor der Beantragung der Förder­gelder beim Kinder­schutz-Zentrum Oldenburg angefragt und um Mitwirkung gebeten. Die einzelnen Podcast­folgen sind  in zwei gemeinsamen Workshops vorkonzipiert und dann in Form recht spontaner Gespräche zu Themen­schwerpunkten des Kinderschutzes aufgezeichnet worden. So ist die erste Staffel des Wissenschaft-meets-Praxis-Podcast "Kinderschutz in der Primarstufe" entstanden. Sie steht seit Ende September 2023 kostenlos und öffentlich zugänglich auf unserer Homepage und ist für die Nutzung in der Lehre auch über das Portal Twillo verfügbar.

Die Fördermittel des Niedersächsischen Programms Innovation+ verlangten u.a. die Produktion von Open Educational Resources, also freien Bildungs­materialien. Darüber hinaus finden sich auf unserer Website auch weitere Informationen wie Hilfeadressen, Bündelungen von Rechts­grund­lagen, Skizzen zu einem der Fälle, Literatur­­tipps und weiter­­führenden Links zu ähnlichen Angeboten.

Frau van't Zet, wie kam es zur Zusammenarbeit am Kinderschutz-Podcast?
Schule ist das Feld, in dem Kinder sich in ihrer Entwicklung am längsten aufhalten. Dort arbeiten Menschen, die nicht nur Wissen in kleine Subjekte füllen, sondern Beziehungen zu jungen, wachsenden Individuen aufbauen und halten. Vor allem in der Grundschule sind sie meistens noch sehr nah an den Kindern und für sie von großer Wichtigkeit. Als "Brückenbauer­/innen" können Lehrkräfte die wichtigsten ersten Helfer­/innen für Kinder und Jugendliche sein: Sie hören zu, entscheiden, wie groß die Not und der folgende Handlungs­bedarf ist, wen sie informieren und um Mitarbeit bitten. Das klingt einfach, ist aber schon sehr anspruchsvoll. Was zum Beispiel tue ich, wenn mir ein Kind berichtet, dass es immer mit dem Stiefvater Pornos schauen muss, wenn Mama Spät­schicht hat? Oder wenn es sogar von sexuellen Über­griffen berichtet? Wenn Lehrkräfte Kinderschutz können und noch besser, wenn deren Schule ein gutes Konzept für den Umgang mit Kindern in Not hat, steigen die Chancen auf Unterstützung für den Nachwuchs massiv.

Wir reisen deshalb schon seit vielen Jahren auf Einladung Lehrender in die ortsnahen Universitäten, berichten aus der Praxis oder organisieren gemeinsam Mentor/innenprojekte als Lernorte für Studierende – In Oldenburg seit 16 Jahren gemeinsam mit Prof. Dr. Spies und unserem Projekt "Balu und Du", bei dem wir für ein Jahr Studierende als Mentor/innen für Grundschulkinder eng begleiten. Unser Ziel ist, dem Thema Kinderschutz auf verschiedenen Wegen praxisbasiert Leben einzu­hauchen. Wir und alle Kinder brauchen jungen, engagierten und fachkundigen Nachwuchs, auch in Grundschulen.

Das Projekt von Prof. Spies unterstützt dieses Ziel aus unserer Perspektive maximal. Die Idee, uni­ver­sitärer Kinderschutztheorie durch Praktiker/innen Leben einzu­hauchen, entspricht genau dem Wunsch, den wir von uni­ver­sitärer Seite immer wieder hören, aber mangels Ressourcen nicht ange­messen erfüllen können. Kein Wunder also, dass wir uns über das Angebot zur Mitwirkung an der Aufzeichnung der Podcasts sehr gefreut haben. Prof. Spies hat den Rahmen dazu und die Lehr­ver­an­staltung entwickelt. Wir als Mitarbeitende des Kinderschutz-Zentrums konnten dann auf den Punkt genau und zusammen mit Heike Prüshoff unsere Erfahrungen einspielen und uns danach wieder unserer alltäglichen Praxis zuwenden.

Und was macht für Sie das Besondere an diesem Kinderschutz-Podcast aus?
Die Podcasts sollen fühlbar machen, was Kinderschutz-Arbeit bedeuten kann mit aller Sorge und Mühe, aber auch mit aller Begeisterung und Sinnstiftung. Und ja, das sind wirklich Praxisgespräche oder auch Praxis­geplauder?... Unsere gemeinsame und interdisziplinäre Vorbereitung bestand darin, das Kinderschutzfeld in zentrale Themenbereiche zu teilen und sich dann darauf einzulassen, in ein Gespräch einzusteigen. Wir sitzen da als Menschen, als Frauen, die alle 20 bis 30 Jahre in dem Feld arbeiten und sich auch nicht scheuen, von persönlichen Erfahrungen, persönlichem Wohl und Wehe zu berichten. Es gibt wenig, was wir nicht gesehen haben und trotzdem sind wir in dem Feld geblieben. Warum? Weil es für uns wenig Sinnhafteres gibt, weil es sehr befriedigend ist, Kindern und ihren Familien helfen zu können und auch Fachkräfte zu Multiplikator/innen auszubilden.

Prof. Spies, ist der Podcast nur für Lehramt-Studierende gedacht? Und gibt es denn Rückmeldungen dazu? Wie kommt er an?
Der Podcast wird als Grundlage von Präsenzseminaren für Studierende mit dem Berufsziel Grund­schule ein­gesetzt. Wir erreichen damit vor allem künftige Lehr­kräfte und Sonder­päda­gog/innen im letzten Master­semester, also kurz vor dem Eintritt ins Referen­dariat. Seit dem Winter­semester 2023/2024 ist damit außerdem ein Fort­bildungskonzept für schulische Akteur/innen verbunden und über das Oldenburger Zentrum für Lehr­kräfte­bildung zu buchen. Hier haben Lehrkräfte, Schul­lei­tun­gen, Schulsozialarbeiter/innen, Sonderpädagog/in­nen und pädagogische Mitarbeiter/innen Zugang.

Weil der Podcast als OER (Open Educational Resources, Anm. d. Red.) konzipiert und produziert wurde, ist er natürlich kostenlos und über die Homepage meines Arbeitsbereichs auch öffentlich zugänglich – für alle Interessierten. Erste Rückmeldungen aus dem Feld sind sehr positiv und zeigen tatsächlich, dass sich auch Fachkräfte aus Feldern der Jugendhilfe die ganze Staffel oder direkt die eine oder andere Folge anhören, um so etwas mehr zu einem bestimmten Thema zu erfahren.

Wie geht es weiter mit dem Podcast? Sind weitere Folgen geplant?
Derzeit ist eine zweite Staffel in Vorbereitung und ich bin sehr zuversichtlich, dass Finanzierung und Umsetzung möglich werden.

Ab dem Sommersemester 2024 werden mindestens drei von acht Lehrveranstaltungen der Präsenzlehre im Master of Education-Modul "Pädagogisches Handeln in der Primarstufe" komplett auf dem Podcast aufbauen und zwei weitere Seminare auf einzelne Aspekte der Kooperation im Kinderschutz eingehen. Damit werden etwa 125 Studierende in diesem Modul auch darüber mitbestimmen, wie wir den Podcast künftig in die Lehre einbinden und welche Themen weitere Folgen vertiefen müssen. Derzeit verwehren uns strukturelle Bedin­gungen, die das Lehramtsstudium in Niedersachsen von außen steuern, ein komplettes schulbezogenes Kinder­schutzmodul im Master of Education anzubieten. Das mag sich ändern, falls sich Niedersachsen ent­scheiden sollte, die Schutzkonzeptpflicht der Jugendhilfe auch auf Schule auszuweiten. In Hessen und Rheinland-Pfalz ist das bereits auf den Weg gebracht.

Können Sie uns noch etwas zu dem vorhin erwähnten Fortbildungskonzept sagen? An wen richtet sich das?
Dabei handelt es sich um ein- bis zweitägige Präsenzseminare im Workshop-Format, die entweder inter­professionell oder berufsfeld­bezogen angelegt werden und immer auf organisations­päda­gogischen Grund­lagen aufbauen. Der Podcast ist als digitales Selbstlern­material Grundlage für alle vertiefenden Präsenz­workshops. Seit November 2023 bieten wir die inter­profes­sionellen Workshops für Lehr­kräfte und Schul­leitungen von Grund­­schulen, Fach­kräfte aus der Schul­sozial­arbeit, Sonder­pä­da­­gogik und Schul­psycho­logie an. Aber auch für Querein­steiger/innen oder für Hort- bzw. Ganz­tags­kolleg/innen und Schul­begleitungen.

Außerdem gibt es Workshop-Konzepte zu Fall­verstehen, Prävention in Unterricht und Schul­alltag, Eltern­ge­sprächen, Schul­sozial­arbeit und Kooperations­­ver­hält­nissen auch berufs­feld­bezogen, um auf die jeweils spezi­fischen Aufgaben und Situationen von den genannten Berufs­gruppen eingehen zu können.

Für schulinterne Fortbildungen passen wir die Konzepte auch gerne an oder entwickeln weitere passgenaue Fortbildungen für die Einzelschule.