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Niedersächsischer Kinderschutz­kongress: Sexualpädagogik ist Kinderschutz

Mehr als 18.400 Kinder und Jugendliche wurden im Jahr 2022 in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt. Knapp 17.200 Kinder waren dabei unter 14 Jahren. Die altersgerechte Aufklärung über sexualpädagogische Themen, als Bestandteil des pädagogischen Alltags sowie von Schutzkonzepten, ist ein wesentliches Instrument der Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Denn alterstypische Phasen der Sexualität begleiten Menschen von Geburt an und sind wesentlich für die Persönlichkeits­entwicklung. Pädagogische Rahmenbedingungen helfen Fachkräften und Kindern bei der Bewältigung dieser Entwicklungsschritte.

Unter dem Motto "Selbstgewählt und Selbst­bestimmt – Sexualpädagogische Begleitung als Teil des Kinder­schutzes" hat der Kinder­schutz­bund Niedersachsen das Thema für den diesjährigen landesweiten Kinderschutz­kongress in Kooperation mit pro familia Niedersachsen und dem Sozialministerium aufgegriffen. Rund 130 Teilnehmende, überwiegend aus dem Bereich Kita, sind am 27. Mai 2024 der Einladung nach Hannover gefolgt.

Grußworte sprachen Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Daniela Rump, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Landesverband Nds. e.V., und Dr.in Ute Sonntag, Vorsitzende pro familia Niedersachsen e.V.

Prof.in Dr. Anja Henningsen, Professorin für Geschlechterkompetenz und Diversität, FH Kiel zeigte in ihrem Vortrag die Notwendigkeit und Möglichkeiten Sexueller Bildung in Kindheit und Kita auf: Welche Faktoren wirken auf die Sexuelle Identitätsbildung von Kindern ein? Welchen Thematiken und Fragen müssen sich Erwachsene stellen, die mit Kindern arbeiten? Welche Sichtweisen, eigene Erfahrungen müssen kritisch hinterfragt werden?

Vertieft wurden diese und weitere Fragen mit einem Brückenschlag zum Transfer in die Praxis bei einer Podiumsrunde mit Prof.in Dr. Henningsen, Corinna Heider-Treybig, Fachleitung Sexuelle Bildung, pro familia Niedersachsen e.V. und Kerstin Rehage, Kinderschutzkonzepte, Der Kinderschutzbund Landesverband Nds. e.V.

Neben dem einführenden Vortrag und der Interview-Runde griffen die Workshops direkt Fragen auf, die aus dem praktischen Alltag kommen. Dabei ging es um Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Kita, Sexualpädagogik und Diversität bei Kindern mit Migrations- und Fluchthintergrund, inklusive Sexuelle Bildung, Eltern mitnehmen in der Sexualpädagogik, Umgang mit körperlicher Neugierde von Kindern in der Kita sowie Kinderschutzkonzepte und Handlungssicherheit im Spannungsfeld von Nähe und Distanz.

Die Päsentation zum Vortrag und Materialien der Workshops werden in Kürze auf der Website der Kinderschutz-Akademie zur Verfügung gestellt: www.kinderschutz-akademie.de

Hintergrund
Die WHO geht davon aus, dass bis zu eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexualisierte Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das sind rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema kann gespaltene Emotionen auslösen. Die Tabuisierung dieses Themas verhindert jedoch nachweislich den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Daniela Rump, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Niedersachsen: "Diese Zahlen machen fassungslos. Als Kinderschutzbund fordern wir seit Jahren eine umfassende Sensibilisierung bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und dem Fachpersonal in den Einrichtungen. Sexual­pädagogik darf kein Tabu sein. Nur durch Aufklärung sind Kinder in der Lage, Fragen zu stellen und Ängste zu äußern, und letztendlich im schlimmsten Falle auch Missbrauchs­erfahrungen und Grenzüberschreitungen benennen zu können."

Sexualpädagogik verhilft darüber hinaus zu einem positiven Körpergefühl. Die wachsende Sensibilität für sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen kann Erziehende, Lehr- und Fachkräfte jedoch oft verunsichern und zu vielen Fragen führen.

Dr. Andreas Philippi, Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung: "Dem Land Niedersachsen ist es besonders wichtig, mit Hilfe der Landesstelle Jugendschutz, den Gewalt­beratungsstellen und Kinderschutz-Zentren gute Informationen und Fortbildungsangebote für Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Im Bereich der Sexualpädagogik umfassen die Angebote altersentsprechende Themen von der Kita bis zur Jugend. Es geht z.B. um Aufklärung und Fragen des Sexualverhaltens, der Aidsprävention oder dem Erkennen sexueller Grenz­verletzungen im Internet. Fachkräfte, die sich in ihrem Handeln kompetent und sicher fühlen, können auch Kindern und deren Eltern das verlässliche Gefühl vermitteln, mit ihren Nöten zu ihnen kommen zu können. Denn: Besonders wirkungsvoll im präventiven Kinderschutz sind starke und aufgeklärte Kinder und Eltern."

Dr.in Ute Sonntag, Vorsitzende von pro familia Niedersachsen e.V.: "Um Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen, ist es entscheidend, dass Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte auch über die reine Wissensvermittlung hinausgehen. So gelingt es Pädagog*innen, im Alltag ein sensibles Gespür für sexualisierte Grenzverletzungen zu entwickeln und Kinder in der Wahrnehmung ihrer Grenzen zu fördern. Die sexual­pädagogische Weiterbildung ist daher ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit von pro familia Niedersachsen."

Quellen: Vernetzungsstelle für Gleichberechtigung, 27.05.2024; Kinderschutzbund Nds. Niedersachsen, 23.05.2024